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archivierte Ausgabe 35/2022
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Ein Lernort |
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Reiner Schlotthauer |
Was macht mit uns der Blick in die Augen des Mädchens auf dem Titel? Was sagt die Hand? Vielleicht ist es ein sprechendes Bild. Also etwas, mit dem Zeitgenossen gar nicht mehr umgehen können, nicht einmal Katholiken, denen ebenfalls das Gespür dafür abhanden zu kommen scheint – obwohl ihre Gotteshäuser voll davon sind: ein Symbol. Eines dafür, wie die Welt sein könnte, wenn sich mehr Menschen entschieden, das Leben zu schützen, so wie die ganze Schöpfung. Und ihre Nächsten wie auch die Fernsten zu lieben. Dann gäbe es mehr Frieden.
Noch weit mehr könnte herausspringen. Wenn man sich darüber bewusst würde, dass selbst die kleinste freundliche Geste, ein gutes Wort, das heilsame Gespräch und sogar die Heilung beim Arzt Zeichen für das anbrechende Gottesreich sind. Haben das nicht ebenfalls auch Christen verlernt? Dass es nämlich nicht eines gewaltigen Einbruchs aus dem Universum oder des Millionengewinns bedarf – nein, das Wunder lauert schon klein und bescheiden am Wegesrand. Eine Mohnblume im Weizen, ein herzhafter Gruß des Nachbarn, der Beistand einer Kollegin, die Hand am Pflegebett. Wer dies mit dem Gottesreich in Verbindung bringt, lernt wieder, dankbar zu sein. Die Welt ist voller Mehrwert.
Schade, dass wir das verlernt haben. Wie leider auch, mit der Entwicklung der Kirche umzugehen. Und mit den Prognosen, Unkenrufen, Schwarzmalereien. Wie viel Zuversicht gibt es? Vor allem jetzt, da die Prophezeiung Karl Rahners sich zu bewahrheiten scheint: dass die Christen in diesem Land immer mehr in der Zerstreuung leben werden, »in die Zumutung einer Existenz als Minderheit inmitten fremder Kulturen«. So ergänzte Pastoraltheologe Rolf Zerfaß. Ist mit dieser Kultur nur die eines fernen Landes gemeint, oder gerade auch die daheim, wo sich die Werte im Umgang mit dem Leben und Sterben immer mehr verschieben? Und so einem fremd werden? [...]
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