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Beheimatet

Reiner Schlotthauer
Reiner Schlotthauer
Es soll hier nicht um die berühmte Blaskapelle gehen, keinesfalls um Folklore, so heimelig sie auch sei. Sondern um richtige Heimat und noch etwas ganz Besonderes. In einer Wendezeit, in der sich Krisen aneinanderreihen, in der Demokratie, Freiheit und Frieden gefährdet sind, bäumt sich neuerdings jeden Morgen zusammen mit den müden Gliedern die Frage auf: Welche Selbstverständlichkeit wird bis zum Abend wieder vom Sockel fallen? Zuletzt war es die falsche Gewissheit, dass der Mensch, gottgleich, schon alles meistern würde: von der ewigen Gesundheit bis zum ewigen Frieden. Ewiges Leben? Plötzlich merkt er, dass er sterblich ist, ziemlich zerbrechlich. Dass das, was die Vorfahren aufbauten, über Nacht untergehen kann.

Und wirkt so nunmehr wie entblößt, ja nackt, als ob aus dem Paradies vertrieben. Immer deutlicher wird, dass sich zu der Zerbrechlichkeit ein weiteres Lebensgefühl gesellt: das des Verlusts der Heimat. Einer Heimat, die aber nicht bloß gefühlig ist. Auch nicht betont geografisch, selbst wenn dies für manchen entscheidend sein kann, gewiss existenziell, wie Großmutter erzählte, die sich noch Flüchtling nannte, und der Mann aus Syrien, der heute als Geflüchteter bezeichnet wird. Die Sprache hat sich zwar gewandelt, aber nicht die uralte Erkenntnis, dass unter Heimat weit mehr verstanden werden kann: Sicherheit, Geborgenheit, Ordnung, Lebensrhythmus, Gemeinschaft, Partnerschaft, Familie, Wohlergehen, Liebe und Beziehung. Papst Franziskus spricht in seiner Enzyklika »Fratelli tutti« von einem »Zugehörigkeitsgefühl zu der einen Menschheit«.

Der Begriff zeigt also schon immer auf etwas noch Größeres. Vielleicht sogar zu dem, was viele längst vergessen hatten, aber als Bedürfnis immer mehr, um pathetisch zu sein, zum Himmel schreit: Neben wirklicher Heimat der Wunsch nach wahrer Beheimatung. Wie klingt dies in unseren Ohren? Vermutlich wie ein von allen Menschen dieser Welt, egal welcher Herkunft und welcher Religion, einstimmig gesungenes Sehnsuchtslied. Und nach Werten, die möglichst vielen gemein sind. In der westlichen Welt würde wohl hoffentlich noch die Mehrheit trotz ihrer Wohlstandsabhängigkeit die Freiheit, die Demokratie, die Gewaltenteilung, die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenwürde erwähnen. Und die verbliebenen Christen fügen Jesu Nächstenliebe hinzu, in der hiesige Kultur und Sozialstaat wurzeln. Und was noch? Deutschland wird vergesslich und wankelmütig. [...]
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