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archivierte Ausgabe 12/2023
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Titelthema |
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Lehre im Wandel |
Fällt die Lehre der Kirche vom Himmel? |
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Die Lehre der Kirche ist kein Buch, das vom Himmel gefallen ist und unverändert bleibt. Es hat immer Entwicklungen und einen dogmatischen Fortschritt gegeben. Doch wie ist man damit umgegangen? Foto: Roberto Caucino/iStock |
Dass die Inhalte des christlichen Glaubens sich mit der Zeit verändert haben, dürfte für die meisten Zeitgenossen keine neue Einsicht mehr sein. Im Gegenteil: Es ist zu einem Gemeinplatz geworden, dass die Lehre der Kirche nicht vom Himmel gefallen ist. Diejenigen, die zum Gottesdienst gehen, wissen zum Beispiel, dass die kirchliche Verkündigung in Form von Predigten, Gebeten oder Liedern anders von Jesus spricht als das Neue Testament es tut. Oder sie sehen, dass es einen Unterschied zwischen der Kirche in ihrer heutigen Form und dem Jüngerkreis Jesu gibt, von dem in den Schriftlesungen die Rede ist. Es ist also Entwicklung drin in der Lehre der Kirche. Doch wie wurde mit diesem Bewusstsein im Laufe der Jahrhunderte bis heute umgegangen? Michael Seewald, Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte in Münster, geht der Frage nach.
Eindrücke, wie die oben genannten, lassen sich dogmengeschichtlich genauer fassen. Einige Beispiele: Die Formel, dass Jesus Christus ganz Mensch und ganz Gott, ja, dass er eines Wesens mit dem Vater sei, ist das Ergebnis von Streitigkeiten, die erst im 4. und 5. Jahrhundert ausgefochten wurden. Das Neue Testament bedient sich anderer Sprech- und Denkweisen, um die Bedeutung Jesu zu beschreiben.
Ein Papsttum, wie es sich erst ab der späten Antike langsam herausbildet, ist der Schrift ebenfalls fremd. Es gibt zwar neutestamentliche Traditionen, denen zufolge Petrus eine Vorrangstellung innerhalb des Zwölferkreises einnimmt. Dass der Bischof von Rom, den es in der Anfangszeit der römischen Gemeinde noch gar nicht gab, da diese Gemeinde vermutlich kollegial von mehreren Presbytern geleitet wurde, der Nachfolger des Petrus sein soll und von Petrus einen Primat über die gesamte Kirche übernommen habe, ist der Schrift jedoch fremd.
Und dass Maria von Beginn ihres Daseins an von der Erbsünde befreit worden sei, wie franziskanische Theologen im Mittelalter behaupteten und wie Papst Pius IX. es im Jahr 1854 feierlich verkündete, setzt nicht nur eine der Schrift unbekannte Mariologie voraus, sondern auch eine ausgefeilte Erbsündenlehre, die erst ab dem 5. Jahrhundert in der lateinischen Westkirche Fuß fasste. Es gibt verschiedene Weisen, diese und andere Entwicklungen des christlichen Glaubens in den Blick zu nehmen. Man kann untersuchen, welche Lehren wann aufgekommen sind, mit welchen Argumenten sie vorgebracht oder bestritten wurden, und wie sie sich letztlich durchgesetzt haben. Mit Blick auf die genannten Beispiele wären die Leitfragen dann: Wann wurde das, was über Jesus Christus heute gelehrt wird, formuliert? Wie haben sich das römische Bischofsamt und später dann der Primat des Papstes ausgestaltet? Wie hat sich die Mariologie verändert?
Diese Fragen sind interessant. Sie sind allerdings schon gut erforscht. Wir wissen viel über die Geschichte der Christologie die Entstehung des Papsttums oder die Rolle Marias in Theologie und Frömmigkeitspraxis. Interessanter scheint daher eine andere, bislang weniger beachtete Frage. Nicht: Wie hat sich die Glaubenslehre entwickelt? Sondern: Wie wurde mit dem Bewusstsein umgegangen, dass sie sich entwickelt und damit verändert hat? [...]
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