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archivierte Ausgabe 5/2024
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Titelthema |
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Ehrlich sein |
Sollen wir immer ehrlich sein? |
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Was? Ich bin gemeint? Im Freundeskreis kann es schnell passieren, dass man plötzlich Teil einer Wahrheit wird, von der man nie gewusst hat. Wenn ein Freund oder Partner nie von Anfang an ehrlich zu einem war, kann das sehr schmerzhaft sein. Foto: PixelsEffect/iStock |
»Ehrlich währt am längsten.«, »Der Ehrliche ist der Dumme.«, »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht« … So lange wie die Liste der Sprichwörter zur Ehrlichkeit ist, so hoch steht Ehrlichkeit auf der Liste der wichtigsten Werte der Deutschen: ganz oben, noch vor der Gerechtigkeit. Doch was ist Ehrlichkeit überhaupt? Ab wann ist jemand zu uns unehrlich? Erst, wenn wir angelogen werden? Oder schon, wenn man uns manche Dinge verschweigt? Und warum fällt es uns selbst manchmal so schwer, ehrlich zu bleiben?
Betrachtet man komplexe moralische Probleme wie die Lehre vom gerechten Krieg oder das Problem der gerechten Verteilung von Geld und Gütern, dann scheint die Sache mit der Ehrlichkeit im Vergleich doch sehr einfach. Auf der theoretischen Ebene scheint doch sehr klar zu sein, dass ehrlich ist, wer nicht die Unwahrheit sagt. Und ins eigene Handeln übersetzt, scheint der Verzicht auf die Unwahrheit doch sehr machbar zu sein – gerade im Vergleich zu den mannigfachen Belastungen, die einem vielleicht die Erfüllung der Pflichten bei der Pflege der eigenen Eltern aufbürdet. Beim genaueren Blick fällt jedoch schnell auf, dass es bei der Ehrlichkeit – sowohl in der Theorie als auch im Handeln – mit einfach einfach nicht getan ist.
Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, dass Ehrlichkeit deutlich mehr umfasst, als niemals die Unwahrheit zu sagen. Denn zwar existiert selbstverständlich ein Zusammenhang zwischen Ehrlichkeit und Wahrheit: Im besten Fall teilt die ehrliche Person uns etwas Wahres mit – und zwar deswegen, weil sie uns etwas Wahres mitteilen möchte. Doch kommt es bei der Ehrlichkeit gar nicht an erster Stelle darauf an, dass das, was uns eine andere Person sagt, auch tatsächlich wahr ist. Vielmehr kommt es darauf an, dass die andere Person selbst davon überzeugt ist, »ehrlich überzeugt« ist, dass ihre Worte wahr sind.
So kann uns unsere Freundin erzählen, dass ihre Nachbarin an Krebs erkrankt sei, obwohl dies gar nicht der Fall ist. Sie ist deshalb aber noch nicht unehrlich – wenn sie von der Krankheit ihrer Nachbarin wirklich überzeugt ist. Die bloße Überzeugung reicht jedoch nicht aus. Ehrlichkeit setzt vielmehr voraus, dass man aus einem guten Grund davon überzeugt ist, dass die eigenen Worte wahr sind. Hat unsere Freundin dies nur daraus geschlossen, dass die Nachbarin in der letzten Zeit so kränklich aussieht, dürfte dies kein guter Grund sein. Hat es ihr aber ein indiskreter Mitarbeiter der Hausärztin unserer Nachbarin erzählt (und dabei den Namen verwechselt), liegt ein guter Grund vor. Unsere Freundin durfte sich auf das Wissen des indiskreten Mitarbeiters verlassen. [...]
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