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Wie kleine Kinder die Welt erleben

Wie kleine Kinder die Welt erleben
Warum gibt es immer wieder Proteste bei scheinbar nichtigen Dingen? Auch Eltern lernen jeden Tag dazu. Je mehr sie sich in das Kind einfühlen können, desto verständnisvoller lösen sie schwierige Situationen.
Foto: Halfpoint/iStock
»Wärst du gern Kind mit dir als Elternteil?« Als Carina Thiemann vor einigen Jahren über diesen Satz stolperte, fielen ihr sofort zahlreiche Situationen ein, in denen sie da rauf mit einem ganz klaren »Nein« antworten musste. Vielen Eltern wird es ganz ähnlich gehen. Sie wünschen sich sehr, dass der Alltag entspannter verlaufen würde; doch bei allem Bemühen gelingt das oft nicht.

Dieses »Nein« wurde für Carina Thiemann zum Ausgangspunkt für ein großes Abenteuer: Sie stellte ihr eigenes Verhalten mutig infrage, wälzte Ratgeber zur bedürfnisund beziehungsorientierten Begleitung von Kindern, tauchte ein in ein riesiges Angebot an Impulsen auf Social Media, sprach mit Pädagoginnen und Eltern. In der ersten Zeit klang vieles »wie eine Fremdsprache«, sagt die Erzieherin, Sozial- und Traumapädagogin. Doch nach und nach konnte sie vielem mit Herz und Verstand zustimmen, andere Dinge lösten Fragezeichen aus. 2011 gründete sie den Instagram-Kanal »Weltvonunten«, dem aktuell 62 000 Menschen folgen.

Aus dem großen Bündel an Wissen und Erfahrungen hat Thiemann jetzt ein Buch gemacht. In »Ich fühle was, was Du nicht siehst« zeigt die systemische Familientherapeutin, wie Kinder ihren Alltag wirklich erleben und wie Eltern zu mehr entspannter Gelassenheit gelangen.

Ausgangspunkt des kenntnisreichen, einfühlsamen und lebensnahen Ratgebers sind Alltagssituationen, die radikal aus der Perspektive des Kindes geschildert werden. Das wirkt zunächst erschreckend, manchmal beschämend, eben weil Eltern wissen, wie der Wutanfall beim Abendessen oder der Tanz ums Zähneputzen ablaufen, weil sie die elterliche Sicht so gut nachvollziehen können. Die Sicht des Kindes kennen sie aber nicht. Sie wissen nicht, wie es sich anfühlt, fremdbestimmt durchs Leben zu gehen, oder wie verletzend Sätze wie »Ist doch nicht so schlimm« oder »Stell dich nicht so an« sein können.

Thiemann will damit keineswegs beschämen, sondern die Augen öffnen. Sie schaut dahinter, beleuchtet die Gründe hinter dem eigenen Verhalten und dem des Kindes, deckt Reiz-Reaktionsmuster auf. Sie entlarvt belastende Glaubenssätze wie »Nur, wenn ich etwas leiste, bin ich wertvoll« und Prägungen aus der eigenen Kindheit wie »Das hat uns doch auch nicht geschadet«. Und sie macht klar, dass es sich für einen Säugling wie ein Überlebenskampf anfühlt, wenn Mama mal kurz aus dem Zimmer geht.

Ein Großteil der Gedanken, Bedürfnisse und Gefühle des Kindes ist wie bei einem Eisberg unsichtbar. »Wir sehen nur, was das Kind gerade tut, wie es sich uns zeigt. Dieses sichtbare Verhalten lässt uns aber oft ratlos zurück, wenn wir es isoliert betrachten: Warum will das Kind partout die Mütze nicht anziehen? Diese Ratlosigkeit ruft wiederum Ohnmacht in uns hervor.« [...]
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