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archivierte Ausgabe 15/2023
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LEHRE IM WANDEL (3) Karl Rahner |
Erfahrungen wie die der Apostel |
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Aufgabe der Kirche ist es laut Rahner, Räume zu schaffen, in denen die Nähe Gottes immer wieder neu erfahrbar wird. Dogmen sieht er dabei als Versuch, diese Erfahrungen durchzubuchstabieren. Foto: KNA |
Der Jesuit Karl Rahner (1904–1984) ist einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts. Sein Denken verbindet zwei Dinge, die selten zusammenkommen: eine genaue Kenntnis der scholastischen Tradition, wie sie im Jesuitenorden gepfl egt wurde, und das Bemühen, zu Rahners Zeit neu aufk ommende philosophische Ansätze für die katholische Theologie zu erschließen. Diese Spannung durchzieht auch Rahners Theorie der Dogmenentwicklung.
Um ein Haar hätte es passieren können, dass nur wenig über Rahners Auffassung von Dogmenentwicklung bekannt geworden wäre. Seine Gedanken dazu hat er 1951 in einer Arbeit über das damals neue Mariendogma formuliert. Ein Jahr zuvor hatte Papst Pius XII. die Lehre, Maria sei nach ihrem Tod mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen worden, zum Dogma erhoben.
Dieser Vorgang brachte jene, die sich mit dem Problem der Dogmenentwicklung befassten, ins Schwitzen. Denn für die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel gibt es weder Belege in der Bibel noch bei den Kirchenvätern. Es handelt sich eindeutig um eine später zur Glaubenslehre hinzugetretene Vorstellung.
Eine papsttreue Theologie, wie die Jesuiten sie betrieben, stand also in der Verlegenheit, zu erklären, wie das neue Dogma sich bruchlos in die Dogmenentwicklung einfügte (denn Brüche durften natürlich nicht sein). Vonseiten des römischen Lehramtes war jedoch nicht jede Form der Schützenhilfe erwünscht. Rahners Manuskript wurde zensiert und sein Erscheinen verboten. Erst die Ausgabe von Rahners sämtlichen Schriften machte das Werk vollständig zugänglich.
Rahner setzte sich von den neuscholastischen Theorien der Dogmenentwicklung ab. Für die Neuscholastik, wie sie bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil vorherrschend war, stellte die Dogmenentwicklung vor allem ein logisches Problem dar. Man ging davon aus, dass Gott Sätze geoffenbart habe, die man in der Bibel und der mündlichen Tradition der Kirche auffinden könne. Diese Sätze wurden dann in einen logischen Zusammenhang gebracht, dem es darum ging, aus bestimmten Voraussetzungen gültige Schlussfolgerungen zu ziehen. Rahner hatte damit zwei Probleme. Er sah erstens, dass ein solches Verständnis mit Blick auf das Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens an Grenzen stößt. Die Vorstellung, dass Mariä Himmelfahrt das Resultat einer formal-logischen Ableitung darstellen könnte, fand er abwegig.
Rahner zufolge zeige sich das »vollendete Gesetz der dogmatischen Entwicklung« erst dann, »wenn der ganze einmalige Vorgang abgelaufen ist. Da er echte Geschichte, und zwar eine solche unter dem Antrieb des Geistes Gottes ist, der sich nie restlos den menschlich erfassbaren Gesetzen zugänglich erweist, ist er nie bloß die Anwendung einer Formel und eines allseitig fixierten Gesetzes. Der Versuch, eine solche Formel adäquater Art zu konstruieren und damit den Ablauf dieser Geschichte eindeutig kontrollieren und eventuelle ›Abweichungen‹ als Fehlentwicklung behaupten zu wollen, erweist sich a priori als verfehlt. Die Geschichte der Dogmenentwicklung ist selbst erst die fortschreitende Enthüllung ihres Geheimnisses.« [...]
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