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archivierte Ausgabe 21/2015
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GEHT GLAUBE NUR ZU 100 PROZENT? (5): LEBEN LASSEN |
Jesus verschafft der Ehebrecherin Raum zum Leben |
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Wortlose Geste: »Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde«, heißt es im Johannesevangelium. Er nimmt den Druck aus der aufgeheizten Situation und schafft Raum, nicht nur für die beschuldigte Frau. Auch die Pharisäer und Schriftgelehrten sollen zu sich finden und sich als Sünder erkennen.
Foto: iStock |
Fast hätte sie es nicht in das Neue Testament geschafft, eine der bekanntesten, beliebtesten und bedeutendsten Jesusgeschichten: die Erzählung von der Ehebrecherin (Joh 8,1–11). Im Johannesevangelium hat die Geschichte Asyl gefunden – aber die ältesten Handschriften haben sie nicht. In einigen späten Manuskripten steht sie auch bei Lukas. Überdies gibt es eine Parallele in einem apokryphen Text. Zu Johannes passt der Ort: der Ölberg und der Tempel, den Jesus nach dem vierten Evangelium mehrfach aufgesucht hat, nicht nur in der Passion. Zu Johannes passt auch der Kontext: Nach Joh 7,24 warnt Jesus davor »nach dem Augenschein zu richten«, nach Joh 8,15 erklärt Jesus: »Ihr richtet nach dem Fleisch [heißt: nach dem Augenschein], ich richte niemanden.« Zu Lukas passt der theologische Sinn der Geschichte: die Rettung einer Sünderin. Zu Lukas passt auch die Form: eine kurze Episode mit einem starken Auftritt Jesu, der ein schwieriges Problem großherzig und souverän löst.
In der apokryphen Jesusliteratur ist die Erzählung von der Ehebrecherin eine derjenigen Überlieferungen, die nicht auf Mirakel des Jesuskindes oder auf Esoterik des Auferstandenen, sondern auf den Rettungsdienst des Irdischen setzen. Ist die Erzählung eine Legende? Dann sagt sie die Wahrheit. Ist sie eine versprengte Erinnerung? Dann ist sie ein Glückfall. So oder so ist sie eine Miniatur des ganzen Evangeliums.
Die Inszenierung ist dramatisch. Jesus lehrt im Tempel (8,1). Schriftgelehrte und Pharisäer bringen eine Frau zu ihm, die »in flagranti« beim Ehebruch erwischt worden ist (Joh 8,2). Sie sind aber nicht wirklich an der Frau interessiert. Die wird vielmehr zum Demonstrationsobjekt gemacht, damit Jesus in Versuchung geführt, vorsichtiger: auf die Probe gestellt wird (Joh 8,6). Wie wird er, der Messias der Herzen reagieren? [...]
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