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archivierte Ausgabe 3/2023
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DAS INTERVIEW: Philosoph Zaborowski über einen alten Begriff |
Was heißt denn bitte fromm? |
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Frömmigkeit ist eine Haltung. Sie bedeutet aber keineswegs, nur in die Innerlichkeit und Bibelbetrachtung zu gehen, sondern daraus auch Impulse für das Handeln und die Beziehungen zu anderen Menschen und zur Schöpfung zu gewinnen. Foto: rodnae-productions/pexels |
Woran denken Sie beim Wort »fromm«? Es ist ein aussterbender Begriff . Zurecht mag mancher denken. Ist er doch inzwischen eher negativ konnotiert und scheint nicht mehr recht in unsere Zeit zu passen. Wir haben beim Philosophieprofessor der katholischtheologischen Fakultät der Uni Erfurt, Holger Zaborowski, nachgefragt, ob die Frömmigkeit noch zu retten ist.
Herr Professor Zaborowski, das Wort »fromm« ist etwas in Verruf geraten, auch unter Christen. Täusche ich mich?
Man hört das Wort heute in der Tat nur noch sehr, sehr selten. Eine Ursache ist sicher, dass der Glaube nicht mehr so selbstverständlich ist wie früher und religiöse Praxis aus unserem Alltag zunehmend verschwindet. In Verruf gebracht haben den Begriff aber wohl eher bestimmte problematische Ausprägungen, die es oft gegeben hat und immer noch gibt: allen voran das Frömmelnde. Also eine sehr äußerliche, fast zwanghafte Form von religiöser Praxis, die innerlich nicht gefüllt ist, gern garniert mit einem kritischabschätzigen Blick auf jene, die man für nicht fromm hält, von denen man sich absetzt oder die man sogar erziehen möchte.
Früher war das anders, wie auch viele Sprachbeispiele zeigen: Etwas frommt – es nützt. Im Mittelhochdeutschen hatte es auch die Bedeutung »tüchtig« und »rechtschaffen«. Woher rührt das Unbehagen, das uns erfasst, wenn jemand fragt: Bist du fromm?
Das hat vermutlich zum einen mit der gerade geschilderten Ambivalenz des Begriffs an sich zu tun, aber auch mit der Ambivalenz des Religiösen in der heutigen Gesellschaft. Wir haben ein wachsendes Unbe hagen gegenüber der Religion aufgrund der zahlreichen Probleme: Kirchenkrise, Missbrauchsskandal … Dadurch wird eine bestimmte Haltung, die mit Religion verbunden wird, eben auch überschattet.
Geht Glaube ohne Frömmigkeit?
Das ist schwierig, weil eine ganz große Nähe zwischen beidem besteht. Frömmigkeit meint ja eine Glaubenspraxis: Bete ich, gehe ich in die Kirche, tue ich Werke der Barmherzigkeit, übe ich Nächstenliebe? Insofern gibt es den christlichen Glauben nicht ohne Frömmigkeit. Denn im Christentum ist Glaube immer ein sich in der Wirklichkeit niederschlagender, gegenwärtig werdender Glaube. Das Christentum ist nicht bloß ein Weltbild, sondern eine Lebensweise. Und das, was diese Lebensweise beschreibt, ist die Frömmigkeit. Es geht im Prinzip darum, dass ich nicht nur sage: Ich glaube an Gott, sondern dieser Glaube, das Verhältnis zu Gott hat auch Konsequenzen. Und fromm zu sein zeigt sich dann in der Weise, wie ich lebe, wie ich anderen begegne, wie ich mein Leben im Angesicht Gottes gestalte.
Klingt noch ein bisschen abstrakt. Lässt sich Frömmigkeit zeitgemäß erklären?
Dafür könnten wir vielleicht erst einmal auf eine geschichtliche Wurzel der Frömmigkeit schauen: die römische Pietas, die Ehrfurcht, letztlich die Anerkennung einer vorgegebenen Ordnung. Und diese Ehrfurcht muss man nicht nur auf Gott allein beziehen. So ist beispielsweise Ehrfurcht vor der Schöpfung, vor der Natur auch eine Art von Frömmigkeit. Das wiederum hätte gravierende Konsequenzen in der Debatte um Ökologie, um den Klimawandel. Ein frommer Mensch verhält sich in einer gewissen Weise zur Natur, zeigt Ehrfurcht vor Gottes Schöpfung.
Das muss dann ja auch auf das Verhalten gegenüber den Mitmenschen gelten, oder?
Genau. Als frommer Mensch verhalte ich mich ehrfürchtig und respektvoll gegenüber dem Anderen, dem Kranken, dem Leidenden, dem Armen. Ich glaube, wenn man fromm so versteht, dann eröffnet das einen ganz neuen Zugang zur Frömmigkeit, die dann sehr gut in unsere Zeit passt. Und man kann damit einen neuen Akzent setzen – gerade jenseits des Frömmelnden. Denn das wirklich Fromme bewahrt letztlich davor, frömmelnd zu werden. [...]
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