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Hoffnungsort
WIE MENSCHLICH IST DIE KIRCHE? (4) - Die andere Sicht

Nicht ohne die Opferperspektive

Nicht ohne die Opferperspektive
Missbrauchsbetroffene geben ihren Empfindungen Ausdruck: Ein Versuch, die drückende Last in Form von beschrifteten Steinen abzulegen und loszuwerden.
Foto: KNA
Bischof Wilmer formulierte vor einigen Jahren die bittere Erkenntnis, Missbrauch sei in der DNA der Kirche. Aber sind mittlerweile den Worten auch Taten gefolgt? Für die, die von der Institution Rechenschaft für erlebten Missbrauch fordern, sind Nächstenliebe und Menschlichkeit oft hohle Worte. Der Fall Hengsbach in Essen zeigt, dass auch nach vielen Jahren heiliger Fassade die Wahrheit ans Licht kommen kann. Doch für viele Betroffene ist das zu spät, das jahrelange »Spiel auf Zeit« hatte Erfolg.

In Tausenden und Abertausenden Fällen wird erfahrenes Unrecht und erlebte Unmenschlichkeit nicht mehr ins Wort gebracht werden können – zumindest nicht in dieser Welt. Norbert Denef berichtete in seinem Buch »Ich wurde sexuell missbraucht« bereits vor 15 Jahren, wie er über Jahrzehnte seine Gewalterfahrungen im Raum der Kirche ausblendete und erst nach einem psychischen Zusammenbruch mit 40 Jahren langsam begann, Worte für das Erlittene und Abgespaltene zu finden. Wochenlang übte er vor dem Spiegel auf den Tag einer Familienfeier hin, um auszusprechen, was keiner hören wollte. Von da an war er für seine Familie tabu.

Das Opfer galt als Täter, der den vermeintlich unbescholtenen Priester diskreditierte. Denef war das erste von der katholischen Kirche in Deutschland anerkannte Missbrauchsopfer. Er lebt heute, schwer krebskrank, mit seiner ebenfalls kranken Frau an der Ostsee. Für beide war sein sexueller und spiritueller Missbrauch in der frühen Kindheit das allbeherrschende Lebensthema. In einem langen Gespräch zitiert Denef immer wieder Hermann Hesse: »Es kommt alles wieder, was nicht bis zum Ende gelitten und gelöst wird«. Seine Geschichte steht für den Leidensweg unzähliger Menschen.

Jede und jeder von Missbrauch Betroffene kennt diese seelische Qual, bis sich das bislang diffus Gefühlte Bahn brechen will, wenn seine Konturen schärfer werden, sich in die wachsende Klarheit zuerst das Gefühl der Scham mischt. Eine Scham, die eigentlich dem Täter gelten müsste. Worte zu finden für die Bilder der Seele, die sich nun zeigen, sind ein langer Prozess. Sie auszusprechen, ein noch längerer. Denn die Übergriffe haben das genommen, was jedem Menschen von Kindesbeinen an mitgegeben worden ist: kongruentes Erleben – eine tiefe Übereinstimmung dessen, was ich empfinde, mit dem, was ist. [...]
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